Kanalbau
Alles außer Standard
Denkt man an Kanalbau, so denkt man an Rohre und Bodenaushub. In Bad Kissingen stimmen solche Bilder nicht mit der Realität überein. Kanalbau hier, an einem der ältesten Kurorte Bayerns, bedeutet viel mehr.
Um die anstehende Kanalsanierung zu realisieren, müssen die Fachleute weit über ihre Fachgebiete hinausblicken und mutig Verantwortung tragen für ein Projekt, für das es kein Vorbild gibt. Nur interdisziplinär lassen sich Lösungen für diese Aufgabe finden. Die Planer betreten Neuland.
Wieso?
Bisher wusste man praktisch nichts über die Strömungen im Grundwasser der Stadt. Man wusste nur eins: Der undichte Kanal beeinflusst diese Strömung erheblich. Für diese Erkenntnis musste Lehrgeld gezahlt werden: So hatten Gutachter im Jahre 1986 empfohlen, den damals schon undichten Kanal in der Kurhausstraße abzudichten. Zum Schutz der Heilquellen.
Die Effekte daraus: gestiegenes Grundwasser, feuchte Keller, eine Überflutung des Maxbrunnens und damit eine vorübergehende Schließung der Quellentnahme. Schnellstens mussten Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Fehler zu beheben.
Hydrogeologie
Nach dieser Erfahrung war klar: Wir brauchen deutlich mehr Wissen über das, was im Untergrund der Stadt vor sich geht. Dies führte seit 2008 zu jahrelanger Erkundung der Bad Kissinger Hydrogeologie. Dann musste die reale Abzugsmenge des undichten Kanals erforscht werden. Wieviel Grundwasser wird vom maroden Kanal im gesamten Gebiet aufgenommen und abgeleitet? Ohne dieses Wissen kann keine Kanalsanierung geplant werden.
Baustoffe
Darüber hinaus mussten sämtliche Baustoffe getestet werden, die bei der Sanierung eingesetzt werden sollen. Denn das Bad Kissinger Grundwasser ist mit den Mineralien der Heilquellen vermischt – und dieses Wasser greift gängige Baustoffe an. Der Tiefbau der Stadt suchte dann nach Lösungen, den vorhandenen Kanal abzudichten und gleichzeitig durchlässig zu belassen, so dass die Wasserströme weiterhin gelenkt werden können. Allein die Versuche und Berechnungen für diese Lösungen brauchen ihre Zeit. Herausgekommen ist der undichte dichte Kanal.
Historische Bausubstanz
Eine ganz andere Herausforderung zeigte sich, als man die Bausubstanz der Altstadthäuser untersuchte. Werden sie den veränderten Druckverhältnissen standhalten, wenn der Erdboden meterweit abgegraben wird? Die historische Baustubstanz und die Umbauten, die im Laufe der Jahrzehnte die Statistik der Häuser beeinflussten, erfordern individuelle Schutzmaßnahmen, die jeweils geplant werden müssen.
Worauf gründet die Bausubstanz?
Wie sieht der Boden unter der Altstadt aus? Welche Schichten gibt es? Wie liegen Sie übereinander? Wie tragfähig ist der Boden? Wer bauen will, muss den Untergrund kennen. Deshalb wird er untersucht. Man spricht von geotechnischen Untersuchungen. Geotechniker untersuchen die Bodenproben vor Ort und im Labor.
Wie wirken die Fundamente der Häuser auf den Untergrund?
Baugrund und Häuser sind untrennbar verbunden. Deshalb untersuchen die Geotechniker wie die Fundamente der Häuser auf die darunterliegenden Böden wirken. Wieviel Last liegt auf dem Untergrund? Haben sich die Häuser im Lauf der Jahrzehnte "gesetzt", also den Untergrund bereits verdichtet? An welchen Stellen ist mit Bewegung zu rechnen, wenn das Erdreich rund um den Kanal aufgegraben wird? Könnten Risse entstehen?
Intelligente Lösungen sind gefragt, um die Häuser auf dem weichen Boden der Altstadt zu stabilisieren.
Eins ist sicher: Je besser die Kenntnis des Baugrunds, desto besser sind die Häuser der Altstadt geschützt. Denn Sicherheit geht vor Schnelligkeit.
Mehr dazu finden Sie in diesen Stadtblatt-Ausgaben:
- "Black Box" – Geologie unter der Altstadt
- Beobachtung des Grundwassers